Wege aus der Wutspirale

Hier gibts Antworten auf die wichtigsten Erziehungsfragen

Moderator: Kathrin Buholzer

Wege aus der Wutspirale

Beitragvon Zaubermäuschen » 11.06.2010, 12:50

Liebe Kathrin,

als erstes möchte ich dir ein grosses Kompliment aussprechen: Deine Website ist nicht nur sehr informativ, sie ist auch sehr gut und praktisch aufgebaut! Suuper - mach einfach weiter so!

Dann komme ich aber auch schon mit einer grossen Bitte: ich wäre über ein paar Tipps und Anregungen sehr dankbar!

In letzter Zeit habe ich grosse Schwierigkeiten im Umgang und in der Erziehung meines Sohnes 3 1/2. Ich bin an einem Punkt wo ich überhaupt nicht sein möchte. Ich fühle mich langsam aber sicher total ausgelaugt und am Boden. Ich habe das Gefühl, als hätte ich alles falsch gemacht...

Mein Sohn ist wohl gerade im viel zitierten Trotzalter mit allem was dazu gehört. Leider sind seine Wutausbrüche in letzter Zeit so stark, dass ich nicht mehr weiss wie ich so richtig dagegen ankommen soll. Er fängt an mich und auch seine Geschwister zu schlagen oder er macht Dinge kaputt. Wenn er so richtig in einem Wutausbruch drin ist, lässt er sich nicht gerne anfassen uns so ist es für mich auch schwierig ihn ohne Gewalt zu beruhigen bzw. davon abzuhalten etwas "Dummes" zu machen. Er hat sehr viel Kraft und die setzt er dann auch voll ein. Das Problem ist, dass ich mich leider immer wieder mit ihm hoch schaukle. Ich werde sehr schnell lauter und das gipfelt machmal im Schreien. Ich verliere auch viel schneller die Geduld als auch schon. Eigentlich bin ich ein ruhiger Mensch, der nicht sooo schnell die Fassung verliert... aber momenten??? Ausserdem hab ich ihm auch schon eins auf die Finger geschlagen, wenn er nicht aufhört mich zu schlagen... Ich weiss, dass dies alles so nicht in Ordnung ist. Und ich schäme mich auch für mein Verhalten. Ich weiss ja, dass er nur seine Grenzen ausloten will. Aber ich weiss leider nicht genau wo ich ansetzten soll um wieder aus dieser Wut- und Agressionsspirale raus zu kommen.

Vielleicht hast du mir ein paar gute Anregungen?

Vielen Dank und liebe Grüsse
Zaubermäuschen
 
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Re: Wege aus der Wutspirale

Beitragvon Kathrin Buholzer » 13.06.2010, 17:28

Liebe Kathrin,

als erstes möchte ich dir ein grosses Kompliment aussprechen: Deine Website ist nicht nur sehr informativ, sie ist auch sehr gut und praktisch aufgebaut! Suuper - mach einfach weiter so!

Hallo Zaubermäuschen! Vielen Dank fürs Lob und die lieben Worte, hab mich sehr gefreut!


Dann komme ich aber auch schon mit einer grossen Bitte: ich wäre über ein paar Tipps und Anregungen sehr dankbar!

In letzter Zeit habe ich grosse Schwierigkeiten im Umgang und in der Erziehung meines Sohnes 3 1/2. Ich bin an einem Punkt wo ich überhaupt nicht sein möchte. Ich fühle mich langsam aber sicher total ausgelaugt und am Boden. Ich habe das Gefühl, als hätte ich alles falsch gemacht...

Mein Sohn ist wohl gerade im viel zitierten Trotzalter mit allem was dazu gehört. Leider sind seine Wutausbrüche in letzter Zeit so stark, dass ich nicht mehr weiss wie ich so richtig dagegen ankommen soll.

Das hast du absolut richtig erkannt. :-)
In der Trotzphase, so ab 2 Jahren (manchmal auch schon etwas früher) erwacht der eigene Wille des Kindes und zeigt sich immer häufiger in Form von Trotzreaktionen und Gehorsamsverweigerungen. Das bedeutet aber nicht, dass sich das Kind in erster Linie gegen seine Eltern wendet, sondern vielmehr, dass das Kind leidet, dass es seine Wünsche nicht selber erfüllen kann.
D.h., es ist in dieser Phase nicht mehr in der Lage die Situation zu überblicken oder zu kontrollieren und gerät darum völlig aus den Fugen.
Deine Tochter versucht immer mehr seine eigenen Wege zu gehen und stösst dabei natürlich und immer wieder an"natürliche" Grenzen. Und sie merkt auch, dass du nicht alles so machst und sagst, wie sie das gerne möchten.

(Hier noch ein paar Erläuterungen aus dem familienhandbuch.de)
>>Diese ersten Erfahrungen mit dem eigenen Willen und den damit verbundenen aggressiven Gefühlen und Konfliktsituationen bzw. der Umgang damit, werden zu Grunderfahrungen, die das weitere Leben des Kindes er- oder entmutigend prägen werden. Die Kinder erlernen im Idealfall, dass:

... es ist gut, einen eigenen Willen zu entwickeln. Dadurch wird es fähig, eigene Entscheidungen zu treffen und zu erproben, und zu erkennen welche Konsequenzen diese Entscheidungen nach sich ziehen.
... Konfliktsituationen nichts wirklich Bedrohliches sind und zum Leben dazugehören und Lösungen gefunden werden können.
... Konfliktsituationen innere und äußere Spannungen erzeugen. Diese Spannungen sind aber auszuhalten und müssen nicht durch andere Tätigkeiten (z.B. Essen) abreagiert oder sogar verdrängt werden.
... es seine Gefühle äußern und zum Ausdruck bringen kann und seine Eltern halten das aus, bewerten sie nicht, sondern helfen ihm dabei, sie zunehmend in Worte zu fassen und auszudrücken. "Auch wenn ich um mich schlage, schreie und tobe, werde ich von meinen Eltern gemocht."
... bewältigte Konflikte Ereignisse sind, auf die man gemeinsam zurückblicken kann und welche die Beziehung vertiefen.
... es macht Spaß, eigene Erfahrungen zu sammeln, auch wenn manchmal Schmerz und Enttäuschung mit dabei sind. Das Kind verzweifelt nicht, da es von seinen Eltern unterstützt wird, es immer wieder neu zu versuchen. >>

Verhindern kannst du solche Trotzanfälle nicht. Es gibt allerdings ein paar Sachen die du tun kannst, damit es vielleicht nicht gar so häufig vorkommt.
- Lass ihm genügend Freiraum, renn nicht ständig hinter ihm her und versuch ihn nicht mit Anweisungen zu zutexten. Normalerweise geben wir immer viel zu viele Anweisungen. Stell Regeln auf, aber nicht zu viele und sei konsequent, wenn diese nicht beachtet werden. Achte darauf, dass du ihm nicht alles abnimmst und ihm dann deine Hilfe anbietest, wenn sie nicht weiterkommt. Ganz nach dem Motto: "Hilf mir, es selbst zu tun."

- Oft ist es auch möglich in gewissen Dingen zu verhandeln. D.h du kannst ihm eine Auswahl geben und er kann selber entscheiden, was er möchte. ("Soll ich dir die Hand geben, oder willst du alleine raufgehen?" " Möchtest du die blaue oder die grüne Hose anziehen." usw. Einen Kompromiss eingehen, verhandeln, aber nur dort wo es auch wirklich Sinn macht.

- In Situationen in denen er sich ärgert, nützt es oft auch, wenn du versuchst ihn abzulenken. Manchmal merkst du auch schon vorher, dass es bald zu einem Trotzanfall kommt, dann kannst du mit dem Ablenkungsmanöver schon etwas früher anfangen.
Vorausplanen. Sag ihm immer früh genug, was als nächstes passiert, so dass er sich schon frühzeitig darauf einstellen kann.
Versuche dem Wutanfall möglichst wenig Beachtung zu schenken.

Hab auch schon ein Video dazu gemacht, Clip Nr. 32, schau mal hier:
http://www.elternplanet.ch/erziehung-mi ... basar.html


Er fängt an mich und auch seine Geschwister zu schlagen oder er macht Dinge kaputt. Wenn er so richtig in einem Wutausbruch drin ist, lässt er sich nicht gerne anfassen uns so ist es für mich auch schwierig ihn ohne Gewalt zu beruhigen bzw. davon abzuhalten etwas "Dummes" zu machen.

Wichtig ist wie gesagt, immer gut vorauszuplanen. Ich habe dazu auch grad ein Video gemacht. Schau es dir doch mal in Ruhe an, Clip 47
http://www.elternplanet.ch/erziehung-mi ... basar.html

Gib ihm auch Alternativen an. Wie kann er sich denn sonst noch verhalten anstatt zu schlagen? Wenn du merkst, dass er grad kurz vor einem Wutanfall steht, dann versuch ihn abzulenken und gibt ihm grad etwas zu tun.


Er hat sehr viel Kraft und die setzt er dann auch voll ein. Das Problem ist, dass ich mich leider immer wieder mit ihm hoch schaukle. Ich werde sehr schnell lauter und das gipfelt machmal im Schreien.

Wenn du merkst, dass es grad etwas ausartet oder er wirklich heftig dreingeschlagen hat, dann kannst du ihn auch einen Moment in die Auszeit bringen.
Hier ein paar wichtige Dinge dazu:

Wichtig ist zu wissen, dass der stille Stuhl und die Auszeit am Schluss einer langen Kette von Erziehungsfertigkeiten steht.
Wichtig ist vorallem den Fokus aufs Positive zu legen. Tut dein Kind etwas das dir gefällt, das du mehr sehen möchtest, dann lobe und ermutige es und sag ihm genau, was dir gefallen hat.
Wenn Regeln oder Anweisungen nicht eingehalten werden, dann ist es immer besser logische Konsequenzen einzusetzen. Also irgend etwas, das mit dem Problemverhalten in Zusammenhang steht. Das Spielzeug einen Moment wegnehmen, eine Tätigkeit einen Moment unterbrechen. Danach das Kind die Tätigkeit aber wieder fortführen lassen und das Spielzeug wieder zurückgeben, damit es das richtige Verhalten üben kann.
Manchmal gibt es Situationen, in denen es keine log. Konsequenzen gibt, oder das Verhalten ist schon etwas schwerwiegender, dann gibt es die Möglichkeit des Stillen Stuhls. z.B wenn ein Kind nicht tut, was man ihm sagt, oder eben wenn andere Konsequenzen keinen Erfolg haben.
St. Stuhl bedeutet, dass das Kind seine Beschäftigung einen Moment unterbrechen muss und für kurze Zeit auf einen Stuhl, Trip Trap auf eine Treppe (oder draussen, z.B auf ein Bänkli) sitzen muss. Erinner ihn an die Regeln, wenn du ihm zum st. Stuhl bringst, also z.B wie lange er sitzen bleiben muss. Wenn es die festgesetzte Zeit ruhig war (1-5 Minuten, je nach Alter) darf es wieder weiter spielen. Der stille Stuhl ist nicht immer am gleichen Ort, je nachdem wo das Problemverhalten aufgetaucht ist. Im Kinderzimmer, im Wohnzimmer, auf dem Spielplatz usw. Wie ruhig es sein muss, ist dir selber überlassen, wenn er noch etwas jammert oder leise weint, ist es ok. Schenk ihm in der Zeit keine Aufmerksamkeit. Wenn er aufsteht, und das wird er am Anfang in 99,9% der Fälle bringst du ihn in die Auszeit und sagst ihm auch warum: "Du warst auf dem st. Stuhl nicht still, also musst du jetzt in die Auszeit."

Eine Auszeit wird eingesetzt, wenn das Kind auf dem St. Stuhl nicht still war oder wenn schwerwiegendes Problemverhalten auftaucht:

Die Auszeit sollte als letzte Möglichkeit eingesetzt werden, bei schwerwiegenderem Problemverhalten. Wenn du merkst, dass er wirklich heftig reagiert, schlägt, beisst, haut dann musst du ganz klar ein Zeichen setzen. Nur zu sagen, das tut man nicht, das macht weh reicht nicht. Wenn er es tut, geh zu ihm, sag ihm dass er aufhören soll. Als Auszeitraum wählst du am besten nicht das Kinderzimmer. Der Raum sollte uninteressant sein, also z.B das Schlafzimmer oder ein Gästezimmer. Das Kinderzimmer sollte auch nicht der Ort sein, wo man hingeschickt wird, sondern dort sollte man sich gerne und freiwillig aufhalten.
Bei der Auszeit gehst du folgendermassen vor. Du gehst zu ihm und sagst, was er falsch gemacht hat:„Sarah, du hast mich jetzt grad ganz fest gehauen, deshalb musst du jetzt für 1-2 Min. in die Auszeit.“
Du nimmst ihn ganz ruhig und bestimmt, und bringst ihn in den Auszeitraum. Wenn er die festgesetzte Zeit ruhig war (es muss nicht mucksmäuschenstill sein, aber er muss sich einigermassen still verhalten), dann gehst du zu ihm und sagst: „du warst jetzt schön ruhig, jetzt darfst du wieder rauskommen.“
Versuch nicht mehr über den Vorgang zu sprechen, sondern versuch ihn wieder in eine Aktivität zu verwickeln.
Die Auszeit zeigt ihm, dass er ganz klar eine Abmachung eine Regel übertreten hat, es gibt ihm aber auch dir die Möglichkeit euch beide zu beruhigen.
Drohe nicht mit der Auszeit, er wird sonst lernen, dass er erst hören muss, wenn du drohst. Das gilt allgemein bei den Drohungen.
Dein Kind lernt nämlich dabei: Ich muss erst dann hören, wenn die Mama laut wird, wenn sie schimpft, droht oder auf 3 zählt. Versuch anstatt zu drohen, das Kind zu motivieren. „Hey, wenn du dich jetzt schnell anziehst, dann haben wir nachher noch genug Zeit zusammen ein Buch zu schauen.“ Oder „Zieh dich jetzt an und wenn du fertig bist, dann kannst du zum Essen kommen." (Nicht: "Wenn du dich nicht anziehst, kannst du nicht zum Essen kommen.")

Die Auszeit vorher (also wenn es kein Problemverhalten gibt) mit dem Kind vorbesprechen und genau sagen, was passiert, wieso und wie lange man in die Auszeit muss und wann du ihn wieder von der Auszeit zurückholst. Die Auszeit solltest du nur anwenden, wenn es wirklich um ein grosses Problemverhalten geht.

Es ist auch möglich, dir eine Auszeit zu verordnen. Also wenn du merkst, dass du kurz vor dem Explodieren bist, dann sag deinem Sohn, dass du wütend bist und dass du kurz eine Auszeit machst um dich zu beruhigen. Geh aus dem Zimmer, in den Garten, auf den Balkon, ins Schlafzimmer und nimm dir ein paar Minuten Zeit. Du kannst auch einen Kaffee trinken, kurz etwas Musik hören.

Bei der Auszeit geht es nicht darum, das Kind zu "bestrafen" in dem man es ins Zimmer schickt. Es geht viel mehr darum, beiden (Mutter/Vater und Kind) die Möglichkeit zu geben, sich in einer schwierigen Situation, die kurz vor dem eskalieren steht, zu beruhigen und zu verhindern, dass man das Kind anbrüllt, am Arm reisst, an den Haaren zieht oder schlägt. Die Auszeit/der stille Stuhl funktionieren nur, wenn das Kind viel positive Zuwendung erfährt. Also wenn man eine positive Beziehung zueinander hat. Die Auszeit/den st. Stuhl wirklich nur ganz selten anwenden, nicht als tagtägliches Erziehungmittel einsetzen.


Ich verliere auch viel schneller die Geduld als auch schon. Eigentlich bin ich ein ruhiger Mensch, der nicht sooo schnell die Fassung verliert... aber momenten??? Ausserdem hab ich ihm auch schon eins auf die Finger geschlagen, wenn er nicht aufhört mich zu schlagen... Ich weiss, dass dies alles so nicht in Ordnung ist. Und ich schäme mich auch für mein Verhalten. Ich weiss ja, dass er nur seine Grenzen ausloten will. Aber ich weiss leider nicht genau wo ich ansetzten soll um wieder aus dieser Wut- und Agressionsspirale raus zu kommen.

Versuch das unbedingt zu verhindern. Es ist nicht logisch, dass er nicht hauen darf/soll und du haust ihm dann auf die Finger...


Vielleicht hast du mir ein paar gute Anregungen?

Vielen Dank und liebe Grüsse
Schau mal, was du damit anfangen kannst und meld dich einfach wieder. Mit Fragen, Feedback oder mehr Beispielen, ok?
liebe Grüsse
Kathrin
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Re: Wege aus der Wutspirale

Beitragvon Zaubermäuschen » 18.06.2010, 07:05

Liebe Kathrin,

ganz herzlichen Dank für deine ausführliche Antwort und die Tipps! Es ist tatsächlich wieder etwas mehr Ruhe eingekehrt bei uns zu Hause :D Und darüber freuen wir uns alle!
In letzter Zeit gelingt es mir schon viel besser, meinen Sohn aufzufangen, bevor er sich in etwas rein steigert. Und ich habe gemerkt, das "Planen" das wirklich grosse Stichwort für mich ist. Ich muss am Morgen meinen Tages-Plan im Kopf haben und diesen dann auch so gut es geht einhalten. Denn sobald etwas nicht nach Plan läuft, läuft eben auch so mach anderes aus dem Ruder...
Grundsätzlich möchte ich ein paar klare Regeln und den Stillen Stuhl in unserer Familie einführen.

Ich werde mich bestimmt wieder melden.

Nochmals Danke und ein schönes Wochenende!
Zaubermäuschen
 
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