Liebe Kathrin
Ich bin momentan so ziemlich am Ende mit meinem Latein mit unserem fast 6- jährigen Sohn.
Ich versuche dir zu schildern, was bei uns zur Zeit völlig schief läuft.
Bis anhin lief eigentlich alles ziemlich problemlos, unser Junior war ein pflegeleichter, lieber Junge.
In letzter Zeit aber raubt er mir den letzten, nein, den allerletzten Nerv und zwar, weil er täglich bis zu 10 mal völlig ausflippt....
Zum Beispiel, wir gehen schlitteln, er macht eine Spur und gibt deutlich zu verstehen, dass das seine Spur ist. Seine Schwester kommt dann per Zufall auf diese, er flippt völlig aus. Das heisst, er schreit, kreischt, liegt auf den Boden und klickt völlig aus.
Kann ich verstehen, dass ihn das ärgert. Du kannst entweder zu ihm gehen und ihm sagen: "Oje, das ist jetzt aber wirklich doof. Kann ich gut verstehen, dass dich das ärgert. Weist du was, am besten fährst du einfach noch einmal runter und machst eine zweite Spur..." Wenn er sich nicht helfen lassen will, er keine Anregungen von dir hören möchte, dann lass ihn einfach. Lass ihn kreischen und schreien, geh nicht auf ihn ein, ignorier ihn einfach. Wenn er sich beruhigt hat kannst du zu ihm gehen und sagen: "Super, dass du dich wieder beruhigt hast, komm wieder zu uns rüber, dann kannst du nochmals fahren.."Er kommt vom Kindergarten nach Hause, fragt was es zum Essen gibt. Zu 99% flippt er aus, weil es nicht das gibt, was er gerade denkt. Wir haben abgemacht, dass er einmal in der Woche was wünschen darf. Das hat keine Besserung gebracht, er flippt an den anderen Tagen trotzdem aus.
Sprich mit ihm darüber. Sag ihm, dass dich das ärgert, stört, traurig macht und warum. "Schau mal, ich stehe eine ganze Zeit lang in der Küche und geb mir Mühe und es macht mich traurig, wenn du dann nach Hause kommst und nur schimpfst." Du kannst z.B auch mit ihm Regeln absprechen, was das nach Hause kommen oder das Essen betrifft. Schreibt die Regeln dann auf und hängt sie auf. Sprich mit ihm auch darüber, was passiert wenn er sich nicht an die Abmachungen hält. Lass ihn da auch ruhig mal selber ein paar Vorschläge bringen. Möglich ist z.B, dass er dann einen Moment warten muss, bis er dann zum Tisch darf oder dass er nochmals einen Versuch macht, nochmals zur Türe reinkommt ohne zu schimpfen. Wenn das nicht klappt, musst du unter Umständen halt auch mal das Essen ausfallen lassen.
Zum Thema Regeln hab ich schon mal ein Video gemacht. Schau es dir doch mal in Ruhe an:
http://www.youtube.com/watch?v=eGsW1g0aPXgWir sitzen in einem Restaurant, trinken was, er will auf den Spielplatz, aber nicht der, der gerade daneben ist, sondern auf einen weiter entfernten. Ich erkläre ihm, dass das nicht geht, er müsse in unserem Sichtfeld bleiben.
Versuch wenn möglich, nicht einfach nur "nein" zu sagen, sondern ihm auch gleich eine Alternative anzubieten. "Wir können nach dem Restaurantbesuch dorthin gehen. Ich komme schnell mit dir raus und wir machen ein Wettrennen, ich will schauen, wie schnell du dort auf den Baum klettern kannst..." usw.Er schreit wie wild um sich, betitlet mich als 'dumme Frau', will mich ins Bein treten wirft sich wiederum auf den Boden und schreit, was das Zeug hält.... ich weiss nicht mehr, was machen....
Irgendwie nützt alles nichts. Ignorieren, erklären (in dem Moment bringt alles reden eh nichts..).
So lange es nur leichtes Problemverhalten ist, kannst du es ignorieren. Wenn er aber haut, mit Dingen um sich schmeisst, dich treten will usw. darfst du das nicht mehr ignorieren. Sag ihm, dass er damit sofort aufhören soll und was du von ihm möchtest. Wenn er nicht aufhört, dann gehst du am besten mit ihm raus. Ins Auto, draussen auf ein Bänkli sitzen usw. Wenn er sich beruhigt hat, dann könnt ihr wieder rein gehen.Daheim werde ich dann oft laut, was ja auch nichts bringt, aber ich bin momentan echt überfordert...

Es gibt ganz viele solche Beispiele.
Was mir auffällt, dass du vor allem erzählst, was denn nicht gut läuft. Ist ja in dem Fall eigentlich auch klar, weil du ja eine Antwort von mir haben möchtest...
Es gibt aber sicherlich auch ganz viele Sachen, die gut laufen, die er gut kann und die auch klappen. Versuch den Fokus vor allem aufs Positive zu legen. Sag ihm was dir gefällt, lobe und ermutige ihn und pass auf, dass du nicht ins negative fällst: "Endlich hast du mal nicht so blöd getan..."
Achte dich auch einmal in welchen Situationen er denn so austickt. Was passierte vorher? Was wolltest du von ihm? Wenn man das etwas genauer beobachtet, kann man oft auch Verhaltensmuster erkennen. Unserer Tochter hat das immer wenn sie ganz fest Hunger hat (also wenn ihr Blutzuckerspiegel im Keller ist). Sie wird vom lieben Mädchen zu einem wahren Mönsterchen und ist nicht wiederzuerkennen. Hat eine Weile gedauert, bist ich das gemerkt habe, dass das der Grund für ihr "Austicken" war.
Ich kann dir auch empfehlen einmal die beiden Videos der Erziehungsfallen anzuschauen.
Teil 1:
http://www.youtube.com/watch?v=OtVDllE2Q3k
Teil 2:
http://www.youtube.com/watch?v=oSgl_lCJ7TIIch versuche wann immer möglich im Voraus zu erklären, was wie am Tag abläuft. Aber immer geht das nicht. Und wenn er im Hotel dann beim Nachtessen völlig ausrastet und heult, weil er am Morgen verstanden hat, dass es Fischstäbli gibt und dann Risotto in seinem Teller ist und alle, aber auch wirklich alle Leute schauen, was denn da los ist, stossen ich an meine Grenzen...
Genau das ist auch sein Problem. Es ist nicht einfach mit Enttäuschung, Wut und Frustration umzugehen. Das muss man erst lernen. Vorausplanen ist ein wichtiges und gutes Mittel. Geht meistens, aber es gibt immer mal wieder Unvorhergesehenes. Wichtig ist, dass du klar bist in deinen Aussagen und Anweisungen. Versuch ruhig zu bleiben und ihm genau zu sagen, was du von ihm erwartest. Versuch auch immer wieder, ihn in die Lösungsfindung miteinzubeziehen. "Was könntest du jetzt tun? Was gibt es jetzt für eine Möglichkeit? Ich kann verstehen, dass du jetzt enttäuscht bist, wie kann ich dir helfen? Welche Möglichkeiten gibt es denn jetzt?"... Bu bist nicht immer allein für sein "Unglück" verantwortlich. Du kannst ihm Hilfe anbieten, schauen, ob du mit ihm zusammen eine Alternative raussuchen kannst. Wenn er diese aber nicht akzeptieren kann oder will, dann musst du dich nicht dafür verantwortlich fühlen. So lange er nichst kaputt macht, sondern einfach trotzt, wütend ist, sauer, das Problemverhalten also noch nicht grad so schwerwiegend ist, kannst du ihn gut ignorieren. Du kannst ihm auch anbieten, dass er dich um Hilfe bitten soll, wenn er das möchte. Wenn er aber wirklich austickt, Dinge kaputt macht, dich oder andere haut, dann würde ich ihn einen Moment in eine Auszeit bringen.
Besprich die Auszeit vorher mit ihm, damit er weiss was ihn erwartet.
Hier ein paar wichtige Punkte dazu:
Bei der Auszeit gehst du folgendermassen vor. Du gehst zu ihm und sagst, was er falsch gemacht hat:„Luca, du hast mich jetzt grad fest gehauen. Wir haben abgemacht, dass wir lieb sind miteinander, deshalb musst du jetzt (zwischen 1-3 Minuten) in die Auszeit."
Du nimmst ihn ganz ruhig und bestimmt, und bringst ihn in den Auszeitraum. Dieser sollte uninteressant sein, also nicht das Kinderzimmer, sondern das Schlafzimmer, Badezimmer…. Wenn er die festgesetzte Zeit ruhig war (es muss nicht mucksmäuschenstill sein, aber er muss sich einigermassen still verhalten), dann gehst du zu ihm und sagst: „du bisch itze schön still gsi, itze darfsch wieder usecho.“ Wenn er vor Ablauf der Zeit wieder anfängt zu schreien oder zu toben, dann beginnt die Zeit wieder von vorne.
Versuch nicht mehr über den Vorgang zu sprechen, sondern versuch ihn wieder in eine Aktivität zu verwickeln.
Die Auszeit zeigt ihm, dass er ganz klar eine Abmachung eine Regel übertreten hat, es gibt ihm aber auch dir die Möglichkeit euch beide zu beruhigen.
Die Auszeit funktioniert nur, wenn eine stabile, positive Beziehung zum Kind besteht und das Kind zuvor mit den Regeln zur Auszeit vertraut gemacht wurde. Kurz gesagt geht es bei der Auszeit darum das Kind für eine kurze Zeit in einen für das Kind langweiligen, sicheren und hellen Raum zu bringen und damit wenige Minuten „aus dem Spiel zu nehmen“ – vergleichbar mit den „zwei Minuten“ beim Eishockey. Ganz wichtig ist dabei sicher zu stellen, dass das Kind keine Angst bekommt. Denn im Unterschied zur Strafe soll die Auszeit weder demütigen noch wehtun, sondern die Aufmerksamkeit für z.B. aggressives Verhalten der Kinder entziehen. Und genau wie beim Eishockey wirkt auch die Auszeit in der Kindererziehung nicht, weil „die zwei Minuten“ an sich unangenehm sind, sondern weil die „time in“, das Mitspielen, wertvoll ist. Richtig angewendet bietet die Auszeit für Kinder eine Chance, zu lernen mit Gefühlen wie z.B. Enttäuschung oder Wut und Ärger umzugehen – wichtige Voraussetzungen nicht nur für sozial kompetentes Verhalten, sondern auch eine Förderung hin zu mehr Verantwortung und Selbstständigkeit.
Die Auszeit nur im Notfall einsetzen und wenn du merkst, dass du kurz vor dem Explodieren bist. Also bevor du ihn anschreist, hart anpackst oder schüttelst, bring ihn kurz in die Auszeit damit ihr euch beide wieder beruhigen könnt.
Drohe nicht mit der Auszeit, deine Kinder werden sonst lernen, dass sie erst hören müssen, wenn du drohst. Das gilt allgemein bei den Drohungen. Also das berühmte „wed itze nid folgisch, denn… oder itze zelle ig no uf drü“ solltest du vermeiden.
Dein Kind lernt nämlich dabei: Ich muss erst dann hören, wenn die Mama laut wird, wenn sie schimpft, droht oder auf 3 zählt. Versuch anstatt zu drohen, das Kind zu motivieren. „Hey, wenn di itze schnäll aziehsch, denn hei mer när no gnue Zyt fürs Büechli.“ Oder „Due di itze alege und wed agleit bisch denn chasch cho ässe.“ (Nicht: wed di itze nid aleisch, de chasch nid cho ässe).
Wenn er rauskommt, dann bring ihn ruhig aber bestimmt wieder zurück. Sag ihm, dass er rauskommen kann wenn er die abgemachte Zeit ruhig war. Sei bereit die Türe einen Moment zu zumachen. "Luca, ich möchte dass du jetzt im Zimmer bleibst, ich kann die Türe offen lassen, wenn du aber jetzt immer wieder rauskommst, dann muss ich die Türe einen Moment zu machen."
Die Auszeit aber nur bei heftigem Problemverhalten anwenden, sonst lieber einfach ignorieren.Und wie gesagt, es kann also gut und gerne 10 mal pro Tag zu einem solchen Anfall kommen...
Ich kann gut verstehen, dass dich das ärgert. Wenn es so weit ist, dann ist es auch möglich, dass du dich einen Moment von ihm zurückziehst. Lass ihn einfach, trink einen Kaffee, geh einen Moment in den Garten und schau, dass du in diesen Situationen nicht zu nah an ihm dran bist.
Unsere 7 jährige Tochter geht seit einem Jahr in die Pfadi und das hat ihr extrem gut getan. Sie ist viel ausgeglichener geworden und es macht ihr total Spass. Vielleicht wäre das auch etwas für deinen Sohn?..
Schau mal, was du damit anfangen kannst und melde dich einfach wieder, mit Fragen, Feedback oder mehr Beispielen, ok?
liebe Grüsse
KathrinVielen Dank im Voraus für deine Hilfe!!!