4 Jahre - er kann, aber will nicht

Verfasst:
05.05.2008, 11:59
von Hera
Hoi zäme. Ich schreibe zum ersten Mal hier. Kathrin hat mich auf dieses Forum aufmerksam gemacht, nachdem ich mein Problem bei WE geschildert hatte. Mein Sohn ist 4, meine Tochter 1 Jahr alt. Nach der Geburt der Tochter hatte ich eine Postnatale Depression und ich nehme noch immer Medi. Mein Sohn bringt mich zur Zeit oft an meine Grenzen. Er hat erst nach dem dritten Geburi richtig angefangen zu trotzen. Momentan verweigert er oft Sachen, die er eigentlich kann, z.B. sich anziehen. Er sitzt dann im Zimmer am Boden und "mögget", "jammeret" oder ruft nach seinem Dädi. Ich WEISS aber, dass er es kann, er macht es manchmal auch selber. Nachgeben oder konsequent bleiben? Die Gefahr ist dann gross, dass ich ihn "anmaule". Mir fehlen in solchen Situationen dann einfach die Nerven. Es tut mir hinterher immer leid. Ich habe das Gefühl, ich kann ihm momentan einfach nicht gerecht werden. Ich bin für alle Tips dankbar.

Verfasst:
05.05.2008, 14:01
von Kathrin Buholzer
Hoi zäme
Hoi Hera!
Herzlich willkommen hier im Forum und schön, dass du dabei bist.
Mein Sohn ist 4, meine Tochter 1 Jahr alt. Nach der Geburt der Tochter hatte ich eine Postnatale Depression und ich nehme noch immer Medi. Mein Sohn bringt mich zur Zeit oft an meine Grenzen. Er hat erst nach dem dritten Geburi richtig angefangen zu trotzen.
Ein Geschwisterchen ist eine grosse Veränderung für alle in der Familie.
Am Anfang ist alles noch neu aber jetzt ist wahrscheinlich nicht mehr alles ganz so aufregend. Im Gegenteil. Das Kind wird langsam mobiler und dein Sohn merkt wohl auch, dass es nicht immer so brav einfach im Wagen oder im Bettchen liegt.
Bis jetzt wurde sie ihm nicht "gefährlich", aber wenn das Baby anfängt sich aufzurichten, zu robben oder zu gehen, dann wird es auch in "sein" Reich eindringen und das macht ihm wahrscheinlich Angst und Sorgen, auch wenn er das so vielleicht nich sagen kann.
Wichtig ist, dass du versucht den Fokus aufs positive zu richten. Tut dein Sohn etwas, dass dir gefällt und das du mehr von ihm sehen möchtest dann schenk ihr Aufmerksamkeit und lobe ihm. Sag ihr genau, WAS dir gefallen hat. "Wenn du dich so schnell anziehst, dann freut mich das sehr, dann haben wir nämlich noch genügend Zeit zusammen etwas zu spielen. oder "Toll, dass du grad gekommen bist, als ich dich gerufen habe."
In der Trotzphase, so ab 2,5/3 Jahren erwacht der eigene Wille des Kindes und zeigt sich immer häufiger in Form von Trotzreaktionen und Gehorsamsverweigerungen. Das bedeutet aber nicht, dass sich das Kind in erster Linie gegen seine Eltern wendet, sondern vielmehr, dass das Kind leidet, dass es seine Wünsche nicht selber erfüllen kann.
D.h., es ist in dieser Phase nicht mehr in der Lage die Situation zu überblicken oder zu kontrollieren und gerät darum völlig aus den Fugen.
Dein Sohn versucht immer mehr ihre eigenen Wege zu gehen und stösst dabei natürlich und immer wieder an"natürliche" Grenzen. Und er merkt auch, dass du nicht alles so machst und sagst, wie er das gerne möchte.
(Hier noch ein paar Erläuterungen aus dem familienhandbuch.de)
>>Diese ersten Erfahrungen mit dem eigenen Willen und den damit verbundenen aggressiven Gefühlen und Konfliktsituationen bzw. der Umgang damit, werden zu Grunderfahrungen, die das weitere Leben des Kindes er- oder entmutigend prägen werden. Die Kinder erlernen im Idealfall, dass:
... es ist gut, einen eigenen Willen zu entwickeln. Dadurch wird es fähig, eigene Entscheidungen zu treffen und zu erproben, und zu erkennen welche Konsequenzen diese Entscheidungen nach sich ziehen.
... Konfliktsituationen nichts wirklich Bedrohliches sind und zum Leben dazugehören und Lösungen gefunden werden können.
... Konfliktsituationen innere und äußere Spannungen erzeugen. Diese Spannungen sind aber auszuhalten und müssen nicht durch andere Tätigkeiten (z.B. Essen) abreagiert oder sogar verdrängt werden.
... es seine Gefühle äußern und zum Ausdruck bringen kann und seine Eltern halten das aus, bewerten sie nicht, sondern helfen ihm dabei, sie zunehmend in Worte zu fassen und auszudrücken. "Auch wenn ich um mich schlage, schreie und tobe, werde ich von meinen Eltern gemocht."
... bewältigte Konflikte Ereignisse sind, auf die man gemeinsam zurückblicken kann und welche die Beziehung vertiefen.
... es macht Spaß, eigene Erfahrungen zu sammeln, auch wenn manchmal Schmerz und Enttäuschung mit dabei sind. Das Kind verzweifelt nicht, da es von seinen Eltern unterstützt wird, es immer wieder neu zu versuchen. >>
Wichtig ist, dass du nicht alles x-mal sagst. Wenn du möchtest, dass dein Kind etwas tut, dann folge diesen Schritten:
Geh zu ihm hin (also nicht aus einem anderen Zimmer, von draussen nach drinnen…) rufen, sprich ihn mit Namen an und sag ihm genau was er tun soll: „Ich möchte, dass du jetzt deine Kleider anziehst und dann zum Essen kommst, …“ (auch hier, immer sagen, was er tun soll, was du von ihr möchtest). warte ca. 5 Sekunden und gib ihm Zeit zu gehorchen.
Bleib in der Nähe und beobachte sie. Wenn er tut, was du gesagt hast, dann lobe ihn.
Wenn nicht dann gib die Anweisung noch einmal. (Gilt nicht bei Problemverhalten, dann die Anweisung nur einmal geben!). Wenn er wieder nicht gehorcht, dann musst du eine logische Konsequenz folgen lassen. ( also irgendetwas, welches mit seinem Verhalten in Zusammenhang steht. Das Kind aus der Situation entfernen, das Spielzeug, den Teller einen Moment wegnehmen, keine Geschichte vorlesen usw.)
Sag ihr immer wieso du es tust, drohe nicht, sondern tu es einfach. Wichtig ist, dass du ihr immer wieder die Möglichkeit gibst es wieder zu üben. Entferne das Spielzeug nur für ca. 5-30 minuten und gib es ihr dann wieder.
Ich Botschaften sind in solchen Situationen auch immer sehr hilfreich. "Wenn du alle deine Sachen hier rumliegen lässt, dann macht mich das wütend, weil ich vorher grad alles schön ordentlich aufgeräumt habe." Oder: "Wenn du so rumtrödelst, dann ärgere ich mich, weil ich gerne mit dir Frühstücken möchte."
Lass ihn verstehen, warum du etwas von ihm möchtest und was es bei dir bewirkt, wenn er es nicht tut.
Beobachte dich einmal, WIE du Anweisungen gibst. Denk dran:
Nicht zuviele! Oftmals texten wir unsere Kinder von morgens bis abends mit Anweisungen zu. Je mehr Anweisungen wir geben, umso mehr Möglichkeiten haben die Kinder nicht zu gehorchen. Oftmals geben wir auch einfach nur Anweisungen aus lauter Gewohnheit. "Pass auf dort drüber, diese Pflanzen solltest du nicht anfassen, jetzt musst du dann mal den Schlafanzug anziehen." Hier wäre es besser entweder gar nichts zu sagen oder dann: "Komm her zu mir, Lass die Pflanzen in Ruhe, geh jetzt bitte deinen Schlafanzug anziehen." Überleg dir jeweils, BEVOR du eine Anweisung gibst: Ist diese jetzt wichtig? Denk auch daran, dass du dann auch eine Konsequenz parat haben musst, wenn er sie nicht befolgt.
Frageform! Immer wieder geben wir Anweisungen als Frage. "Könntest du bitte deine Füsse vom Tisch nehmen? Kommst du bitte? Gehst du jetzt die Hände waschen?" Wenn wir eine Anweisung als Frage formulieren, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn das Kind "Nein" sagt. Also sag immer, WAS genau du von deinem Kind erwartest. Positiv Formulieren!
Zu Ungenau! "Leon!" oder "Hör auf mit dem Blödsinn!" "Jetzt reichts aber! "Jetzt benimm dich!" Diese vagen Andeutungen sagen dem Kind weder mit was es aufhören, noch was es stattdessen tun soll.
Von weit her! Immer zum Kind hingehen. Nicht von der Küche ins Kinderzimmer schreien!
Zur falschen Zeit! Vorher ankündigen. Nicht einfach den Fernseher ausmachen, oder zum essen rufen. Sag ihm vorher wie lange er etwas tun darf. Stell eine Uhr, oder geh ca. 5 Min. vorher zu ihm hin und sage: "In 5 Minuten können wir essen, wenn ich das nächste Mal komme, dann möchte ich, dass du gleich mitkommst und dir die Hände wäschst."
Es gibt noch weitere "Erziehungsfallen":
Umgang mit Strafen:
Strafe wird angedroht, aber nicht ausgeführt. Das Kind lernt mit der Zeit, dass die Eltern die Strafen nur androhen, aber trotzdem nix passiert.
Strafe als letzte Möglichkeit:
Die Eltern warten zu lange, bevor sie auf das Problemverhalten reagieren. Strafen fallen dann häufig zu hart aus.
Inkonsequente Bestrafung:
Die Eltern sind sich nicht einig, ob und wie sie Konsequenzen anwenden. Für das Kind ist es schwierig zu merken, welche Linie jetzt gilt.
Momentan verweigert er oft Sachen, die er eigentlich kann, z.B. sich anziehen. Er sitzt dann im Zimmer am Boden und "mögget", "jammeret" oder ruft nach seinem Dädi. Ich WEISS aber, dass er es kann, er macht es manchmal auch selber. Nachgeben oder konsequent bleiben? Die Gefahr ist dann gross, dass ich ihn "anmaule". Mir fehlen in solchen Situationen dann einfach die Nerven. Es tut mir hinterher immer leid. Ich habe das Gefühl, ich kann ihm momentan einfach nicht gerecht werden. Ich bin für alle Tips dankbar.
Wahrscheinlich hat es ja auch ab und zu funktioniert? Wenn er laut ruft und weint, dann kommt jemand um "ihn abzustellen" sprich, ihm sein Problem abzunehmen. Du kannst ihm Hilfe anbieten, (z.B dass er sich in der Küche bei dir anziehen kann) aber nimm ihm nicht alles ab.
Als Unterstützung könntest du mit ihm eine Punktekarte/Chläberliplan machen:
Hier gibt es ein paar wichtige Sachen zu beachten:
- Positiv formulieren, was möchtes du von ihm.
- Am wirkungsvollsten ist es, wenn du etwas witziges bastelst, dass er gern hat. Z.B einen Bauernhof einen Zoo, ein Piratenschiff usw. Beim Schloss z.B kannst du auf jedes Fenster den Sticker kleben, beim Zoo auf jedes Feld, Abschnitt und beim Zoo z.B in jedes Gehege. Die Punktekarte darf ruhig phantasievoll sein, witzig aussehen und Spass machen.
-Jedes Mal wenn er es geschafft hat, also z.B sich pünktlich angezogen hat (bis spätestens um halb 8 am Tisch sitzt) dann, darf er ein Kleberli aufkleben. Evt. noch ein 2. Kleberli, wenn er pünktlich das Haus verlässt.
Bei kl. Kindern reicht oft schon der Kleber als Belohnung. Du kannst aber auch zusätzlich noch eine Belohung geben. Es muss nicht immer etwas teures, gekauftes sein. Z.B eine Extra Geschichte lesen, ins Schwimmbad gehen, einen Kuchenbacken, eine Velotour usw. lass dir was einfallen. Es ist auch möglich, eine grössere Belohnung in Aussicht zu stellen. Z.B ein Plüschtier, Malfarben, einen Bagger, Lego usw. muss aber nicht sein.
-Setz ein leichtes Ziel. Also z.B wenn er schon mal pünktlich am Tisch sitzt 1 Kleber, 2. Kleber: wenn er pünktlich das Haus verlässt. Nach dem 1. Morgen, an dem es geklappt hat: eine kl. Belohnung.
Nach insgesamt 3 Morgen evt. eine grössere Belohnung und nach einer Woche dann eine grosse Belohnung.
-Mach es dann etwas schwieriger (also nur noch 1 Kleber pro morgen) und lass mit der Zeit die Belohnungen weg und lass die Punktekarte „ausschleichen“. Achtung! Keine Kleber wegnehmen, nicht schimpfen wenns nicht geklappt hat, motivieren fürs nächste Mal.
Lobe und ermutige ihn auch am morgen, wenn es geklappt hat und wenn er sich rechtzeitig parat gemacht hat. Kinder können sich angewöhnen sich schlecht zu benehmen, wenn wir sie nicht ausreichend beachten, wenn sie sich gut verhalten.
Achtung! Nicht zuviele Anweisungen geben - nicht zutexten! Und versuch ihm immer die Anweisungen so zu geben, dass er weiss WAS GENAU er zu tun hast. Also nicht: "jetzt trödel nicht so rum!" sondern "Mach bitte vorwärts und zieh dich an!
Lies dir mal alles in Ruhe durch. Evt. kannst du es dir ja auch ausdrucken. Frage nach, wenn du etwas nicht verstanden hast oder bring mir noch ein paar Beispiele, dann kann ich dir noch besser helfen.
liebe Grüsse
Kathrin

Verfasst:
06.05.2008, 14:37
von Hera
Liebe Kathrin. Danke für die vielen kompetenten Tips. Ich werde daran arbeiten! Ich eröffne grad noch ein neues Thema, weil meinen Mann und mich heute Mittag ein anderes Problem sehr beschäftigt hat.
lg